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Autoren-Interview mit Ralf Boscher zu „Engel spucken nicht in Büsche“

Sie haben Philosophie und Deutsche Literatur studiert. Wo lagen ihre Schwerpunkte?

Meine Schwerpunkte lagen in der Philosophie, zumeist habe ich mich auf der Linie Kant, Schopen­hauer, Nietzsche, Heidegger, Foucault bewegt. Was ist Aufklärung? war eine wichtige Frage. Was ist Macht? Und damit verbunden: Wie ist Freiheit möglich? Fragen der Vorurteilsstruktur haben mich interessiert: Heideggers „Man“, Thomas Kuhns „Paradigmen“, Foucaults „Episteme“, Lothar Bornscheuers „Topik“ (aufgrund meiner Beschäftigung mit Bornscheuers „Topik“ und seiner Ana­lyse von Klischees und Vorurteilen wurde mir der wissenschaftliche Nachlass von Bornscheuer ver­macht, der sich nun in der Universitätsbibliothek Konstanz befindet) .


Wann kam erstmals der Wunsch auf, ein Buch schreiben zu wollen?

Der Wunsch ein Buch zu schreiben, also einen Roman, kam bereits früh, nachdem ich die ersten Kurzgeschichten geschrieben hatte, auf. Also mit 15, 16 Jahren. Der Gedanke, etwas Größeres zu erschaffen, war faszinierend: Eine Vielzahl von interessanten Figuren mit je eigenen Lebensge­schichten, Sehnsüchten und Dramen, welche wie in einem Netz durch den roten Faden der Ge­schichte miteinander verknüpft sind, erst lose, dann Richtung Showdown immer enger – dieser Wunsch kam sehr schnell auf, nachdem ich entdeckt hatte, wie viel Freude mir das Schreiben macht.


Hauptberuflich arbeiten Sie als Werbetexter. Wie viel Zeit räumen sie dem Schreiben ein?

Seitdem ich hauptberuflich als Texter arbeite, habe ich mich wohl zu einer Art „Quartalsschreiber“ entwickelt: Es gibt Phasen von mehreren Wochen, in denen ich gar nichts aufs Papier bringe (bzw. auf meine Festplatte), dann kommen wieder Wochen, in denen ich jeden Tag mehrere Stunden nach der Arbeit schreibe (bzw. am Wochenende nahezu den kompletten „wachen“ Tag). Wobei ich sagen würde, dass selbst in den Wochen ohne ein Wort auf Papier das Schreiben präsent ist: Ideen entwi­ckeln sich, ich spiele im Kopf einen Plot durch, entwerfe Szenarien.


Wer oder was inspiriert Sie ?

Dies ist sehr unterschiedlich. Einige Male inspirierten mich Songs, die ich zufällig im Radio hörte (die Geschichten „Take The Long Way Home“ und „Oh Du Fröhliche“ nahmen so ihren Anfang). Einmal war es die Maserung eines Holzbalkens, welche einer Wolfsschnauze bzw. einer Teufelsfrat­ze ähnlich sieht. Oder ein Schokoweihnachtsmann, welcher lange, sehr lange vor Weihnachten im Supermarkt angeboten wurde. Oder ein Erlebnis, eine interessante Eigenart eines Menschen in mei­nem Umfeld, ein Gefühl… Bei meinem Roman „Engel spucken nicht in Büsche“ waren Furcht vor fanatischen Menschen und Sehnsucht nach Liebe zwei der Keime, die dann zu Figuren und Ge­schichten wuchsen.


Was war bei „Engel spucken nicht in Büsche“ die größte Herausforderung?

Das Kürzen. „Killing the darlings“, hat mir ein Lektor einmal auf den Weg mitgegeben, und das war das Schwierigste. Überflüssiges erkennen und herausnehmen, schmückendes Beiwerk ohne Funkti­on streichen (selbst wenn ich die Szene sehr gelungen fand), um das Netz so dicht wie möglich zu spinnen.


Wie lange dauerte der Prozess von der ersten Idee bis zur Fertigstellung?

Lange. Die Urform meines, damals schon so genannten, ersten Romans „Engel spucken nicht in Büsche“, habe ich zu Beginn meines Studiums geschrieben. Etliche Jahre habe ich den Roman dann liegen lassen. Ich habe einen zweiten Roman in seiner Urform geschrieben, einen Dritten begonnen, etliche Kurzgeschichten geschrieben (die ich dann 2004 zusammen mit einigen Gedichten in dem Buch „Vom Höcksken aufs Stöcksken. Hartes und Zartes in Geschichten und Gedichten“ zusam­mengefasst habe). Schließlich habe ich „Engel“ im vergangenen Jahr wieder zur Hand genommen (religiöser Fanatismus und auch das Thema „Misshandlung“ haben, leider, nichts von ihrer Aktuali­tät verloren) und komplett überarbeitet. Das Ergebnis liegt nun vor.


Wie kamen Sie darauf, einen großen Teil des Romans in der Künstlerszene abzuhandeln?

Künstler als Romanfiguren haben eine lange Tradition, z.B. wimmeln Thomas Manns Romane von Künstlern, auch in den Romanen eines meiner Lieblingsautoren John Irving spielen Künstler, vor allem Schriftsteller, immer wieder eine Hauptrolle. Ein Schriftsteller spielt in „Engel“ keine Rolle (aber in meinem zweiten Roman „Entfesselt: Abschied ist ein scharfes Schwert“), vielmehr sind es ein Maler und eine Musikerin, die einigen Raum in meiner Geschichte erhalten. Was mich an bei­den künstlerischen Ausdrucksformen interessierte, waren die Momente der Inspiration, welche, den­ke ich, in der Malerei und in der Musik wesentlicher direkter in den Schaffensprozess einfließen als bei der Schriftstellerei. Zudem bilden Krish und Helen, der Maler und die Musikerin, in ihrer Art zu leben (möglichst frei, aber mit Respekt vor dem anderen) einen Gegenentwurf zum religiösen Fana­tiker im Roman, der sich zwar auf der Seite des Lebens wähnt, aber in seinem Wahn den Tod bringt.


Der Roman wirkt recht klischeehaft. War das Absicht?

Klischees sind wichtig und produktiv. Klischees gewährleisten, dass sich Roman und Leser treffen, denn zunächst einmal orientiert sich ein Leser an dem, was er kennt, an seinen Erfahrungen und sei­nem Wissen, an seinen Klischees: Was für ein Genre hat das Buch? Ah, ein Krimi. Also erwartet der Leser krimitypische Zutaten, die – z.B. je nach Autorennationalität – anders ausfallen können: ty­pisch amerikanisch, typisch schwedisch…. Was für ein Personal hat das Buch? Ein Maler, ein Kran­kenpfleger, ein Priester… hier entstehen Bilder, die aus dem gespeist werden, was der Leser an eige­nen Erfahrungen oder Leseerfahrungen mitbringt. Doch wenn es denn ein guter Roman ist, löst er sich immer mehr von diesen Klischees, die Figuren erhalten ein Eigenleben, sie agieren nicht mehr typisch, sondern eigenwillig und auf interessante Weise neu. Der Roman erfüllt nicht mehr nur die Vorgaben des Genres, sondern entwickelt eigene, unverwechselbare Züge. Die besten Romane ge­ben dem jeweiligen Genre neue Impulse, erweitern die Grenzen des Genre, oder werden selbst zu einem: ein typischer Stephen King, ein typischer Irving… was dann natürlich auch wieder ein Kli­schee ist.


Wie entstanden und entwickelten sich die Protagonisten?

Unterschiedlich. Jedenfalls war im Anfang die Grundidee zum Roman („Eine Gruppe von Men­schen, in deren Leben das durchaus reale Böse in Form eines mörderischen Fanatikers einbricht“), dann kamen die Figuren. Helen z.B. entstand aus Krishs Malerei, aus seiner Arbeit am Roten Bild, in welches er seinen Liebeskummer, seine Sehnsucht hinein malte. Aus seinen Gefühlen entstand Helen als ihn inspirierende, starke, unabhängige Frau, wobei sich dann beide, Krish und Helen, in ständiger Wechselwirkung weiter entwickelten. Die Urszene, aus welcher sich Hartmut, der Krankenpfleger, entwickelte, war sein zu spätes Heimkommen, die nach Pfannkuchen riechende Wohnung und der Tod seiner Mutter. Hannes, der Priester, entstand aus meinen Gedanken über religiösen Fanatismus und meinen Überlegungen, was für ein Mensch könnte zu so etwas fähig sein. Was könnte ihm widerfahren sein? Für keine Figur gab es ein reales Vorbild, aber ich wollte, dass jede meiner Figuren ein reales Vorbild hätte haben können. Der Leser soll den Eindruck haben, dass er eine Helen kennenlernen könnte. Einen Hartmut. Oder den Mörder.

Haben Sie einen Lieblingsprotagonisten?

Helen und Alex, beides sehr vielschichtige Charaktere mit einer aufgrund der Ereignisse interessan­ten Entwicklung.


Gab es während des Schreibprozesses Blockaden? Wenn ja, wie überbrückten Sie diese?

Die gab es, und zuerst haben mir diese Phasen sehr zugesetzt. Aber im Laufe der Zeit habe ich her­ausgefunden, dass es für mich und meine Art zu schreiben das Beste ist, sich in diesen Fällen abzu­lenken, vielleicht parallel an etwas anderem zu arbeiten, oder den Schreibtisch ganz zu verlassen. Es kommt dann, meist sehr schnell, der Punkt, an dem es weitergeht. Darauf vertraue ich. Erzwin­gen lässt es sich nicht.


Der Buchtitel findet sich erst am Ende der Geschichte wieder. Warum wählten sie grade die­sen Titel?

Der Titel „Engel spucken nicht in Büsche“ steht für die verlorene Unschuld im Leben, für eine Welt, in der kein Gott seine schützende Hand über die Menschen hält, sondern in der der Mensch des Menschen Wolf ist – in der die Nähe eines Menschen aber auch das ist, was das Leben lebens­wert macht. Der Titel steht für den existentiellen Kummer, den nahezu jede Hauptfigur im Roman erleben muss, eine Erfahrung, an der sie entweder zugrunde gehen (Hannes) oder aus der sie ge­stärkt hervorgehen (Alex, Helen).


Welche Interessen und Hobbies haben sie?

Die wichtigsten Eckpunkte in meinem Leben sind meine Partnerin, meine Familie und Freunde. Ich lese sehr gerne (Belletristik, gerne auch Biographien, Geschichtliches), Musikhören ist immens wichtig (und Musik kaufen, damals LPs, seit einigen Jahren CDs, tolle Cover bewundern, Texte da­bei lesen, von AC DC bis ZZ Top, von Abba bis Zappa, aber überwiegend Heavy Metal mit einem Hang zum Dramatischen). Obwohl ich keinen grünen Daumen habe, finde ich Gartenarbeit sehr entspannend, und Umgraben ist ein guter Ausgleich zur Schreibtischarbeit. Phasenweise versuche ich mich zudem an der E-Gitarre.


Sie schreiben derzeit an einem neuen Roman. Wovon handelt er und wann wird dieser vor­aussichtlich veröffentlicht?

Die Arbeiten an meinem neuen Roman „Entfesselt: Abschied ist ein scharfes Schwert“ sind nahezu abgeschlossen.

Um es in zwei Sätzen zu sagen, es geht um: Liebe, Lust und Leichen im Keller. Leben und Sterben zwischen Nietzsche, dem Niederrhein und der Müllverbrennungsanlage in Wuppertal, in einer Nebenrolle: die Imperia in Konstanz außer Rand und Band. Mit Entfesselt habe ich einen Mordsroman über einen eigenwilligen Charakter geschrieben, die Lebensgeschichte eines namenlosen Mannes, erzählt von ihm selbst. 300 Seiten voll mit dramatischen Begebenheiten, belebt von interessanten, ja skurrilen Figuren (von denen allerdings viele eine abrupten Tod sterben), untermalt von der Musik der Doors. Eine Autobiographie mit Krimi-Touch und Sexappeal, würzig abgeschmeckt mit einem Hauch Philosophie und einer Messerspitze Horror. Oft anrührend, manchmal melodramatisch, immer wieder witzig entblättert der Erzähler vor uns sein Leben und sein Leiden. Ist er sympathisch ? Ja. Ist er abstrus, sogar dubios ? Oh ja. Ist er ein psychopathischer Serienmörder ? Abschied ist ein scharfes Schwert.

Ein Veröffentlichungsdatum kann ich leider nicht nennen, die Suche nach einem Verlag für „Entfesselt: Abschied ist ein scharfes Schwert“ hat grade erst begonnen.

Ich bedanke mich sehr für dieses Interview, wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg und hoffe, dass „Entfesselt“ bald einen Verlag finden wird. Die Inhaltsangabe hat mich sehr angesprochen und klingt ebenso interessant, wie es Ihr Roman „Engel spucken nicht in Büsche“ war.


 

Eine Antwort zu “Autoren-Interview mit Ralf Boscher zu „Engel spucken nicht in Büsche“

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